Rhythmus als lyrischer Defibrillator

Die oft schon und immer wieder tot gesagte Lyrik lebt noch. Denn Poesie ist kein Objekt sondern eine dynamische Form die sich überall und vielfältig zur Geltung bringen kann*. Hier belegen wir theoretische Texte, auf denen unsere Ausführungen auf der Intensivlyrik teilweise beruhen.

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Wie interpretiert man ein Gedicht?

Von Hans-Dieter Gelfert, Stuttgart, 2007

Auf dem Gebiet der lautlichen Ausdrucksmittel hat die Lyrik viel mit der Musik gemein. Wie diese kennt sie Rhythmus, Klangfarbe und Melodie. Nur die Dimension der Harmonik ist ihr verschlossen, da Sprachlaute Geräusche und keine reinen Töne sind und da ein Sprecher nicht mehrstimmig sprechen kann.” (24)

Wir meinen, mit gespaltener Zunge zu reden, ist neben der moralischen Verwerflichkeit immer noch auch eine Kunstfertigkeit, die Mehrstimmigkeit auch in der Lyrik repräsentieren kann. An anderer Stelle führt Hans-Dieter Gelfert aus:

Einführung in die Verslehre

Von Hans-Dieter Gelfert, Stuttgart, 2009

Diese freie Bewegung, die das Metrum vergessen lässt nennt man Rhythmus. Er beweist seine Freiheit auch darin, dass er über die Verszeile hinausgeht und oft dem ganzen Gedicht, mindestens aber der Strophe eine zusammenhängende, in sich gegliederte Bewegung gibt.
Wolfgang Kayser hat in seiner Kleinen Versschule vier Typen unterschieden: den fließenden, den bauenden, den gestauten und den strömenden Rhythmus. Diese Unterscheidung ist aber wenig hilfreich, denn jede rhythmische Bewegung muss fließen, und sie muss zugleich immer wieder gestaut werden, sonst wird sie vom Hörer als langweilig empfunden. Aus dem Wechsel von Fließen und Stauen entsteht notwendigerweise der ’Bau’ einer rhythmischen Struktur. Deshalb kann man den Rhythmus, anders als das Metrum, nicht klassifizieren, sondern nur mit Begriffen wie schnell oder langsam, weich oder hart, feierlich getragen oder emphatisch drängend, schreitend oder tanzend, kurzschrittig oder langschrittig beschreiben.”
(45)

Was Kunst ist, wissen Sie ...

Von Kurt Schwitters, in: Das literarische Werk, Bd. 5, Manifeste und kritische Prosa, Köln, 1981

Was Kunst ist, wissen Sie ebensogut wie ich, es ist nichts weiter als Rhythmus. Wenn das aber wahr ist, so beschwer ich mich nicht mit Imitation oder mit Seele, sondern gebe schlicht und einfach Rhythmus mit jedem beliebigen Material, Straßenbahnfahrscheinen, Ölfarbe, Holzklötze, ja, da staunen Sie Bauklötze, oder mit dem Wort in der Dichtung, dem Ton in der Musik, oder wie Sie wollen. Darum sehen Sie sich nicht das Material an, denn das ist unwesentlich. Suchen Sie nicht versteckt irgendeine Imitation von Natur, fragen Sie nicht nach Seelenstimmungen, sondern suchen Sie trotz des ungewöhnlichen Materials, den Rhythmus in Form und Farbe zu erkennen. Mit Bolschewismus hat das ebensowenig zu tun wie der moderne Bubikopf. Dafür ist es die Essenz aller Kunst. das heißt, jedes Kunstwerk aller Zeiten mußte diese primäre Forderung erfüllen, Rhythmus zu sein, sonst war es nicht Kunst.” (244 f.)

 

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